Steigt ein Börsenindex wie der deutsche Aktienindex Dax an einem Tag um 2 Prozent, was gar nicht so wenig ist, dann kann manches Zertifikat in derselben Zeit 4, 8 oder sogar 20 Prozent zulegen. Besser noch: Es gibt Zertifikate, die sogar steigen können, wenn der Dax fällt. Zertifikate können im Nachhinein so tun, als wäre der Anleger nicht an irgendeinem Tag eingestiegen, sondern genau dann, als die Börse auf dem niedrigsten Stand war. Nicht mal Profis schaffen das perfekte Timing. Manche Zertifikate versprechen sogar Gewinne ohne Risiko, Rendite ja, Absturz ausgeschlossen. Das Dumme ist nur: Auch Zertifikate sind von dieser Welt. Für sie gelten dieselben Gesetze wie für herkömmliche Wertpapiere, allen voran das: Je höher die Renditechance, desto höher das Risiko. Gibt es kein Risiko, ist auch die Rendite mau. Die Finanzkrise hat die Wunderpapiere entzaubert. Statt besserer Renditechancen mit weniger Risiken boten Zertifikate plötzlich nur noch eins: krachende Verluste.
Was sind eigentlich Zertifikate?
Zertifikate beziehen sich auf einen Basiswert, das kann eine Aktie sein, ein Börsenindex, ein Zinssatz am Kapitalmarkt, Gold, Öl oder andere Rohstoffpreise. Es gibt viele verschiedene Varianten:
Indexzertifikate sind relativ einfach: Sie bilden die Wertentwicklung ihres Basiswerts eins zu eins ab. Ein Indexzertifikat auf den Dax steigt um 5 Prozent, wenn der Dax um 5 Prozent steigt. Fällt der Dax, fällt auch das Zertifikat. Andere Zertifikate varianten orientieren sich ebenfalls an der Wertentwicklung des Basiswerts, bauen aber zusätzliche Bedingungen ein: Garantiezertifikate bilden die Wertentwicklung ihres Basiswerts nur in eine Richtung ab. Steigt der Basiswert, steigt auch das Garantiezertifikat. Fällt er, bietet es Schutz. Der Anleger riskiert keinen Verlust. Discountzertifikate erlauben den Kauf einer Aktie mit Rabatt oder Discount. Weil der Anleger einen geringeren Preis gezahlt hat, als die Aktie an der Börse kostet, hat er einen Sicherheitspuffer. Auch wenn die Aktie leicht fällt, macht sein Zertifikat noch keinen Verlust. Bonuszertifikate sind dann von Vorteil, wenn sich der Kurs der zugrunde liegenden Aktie innerhalb einer bestimmten Kursspanne bewegt. Dann kassiert der Käufer des Zertifikats den Bonus – der den Papieren den Namen gibt. Expresszertifikate sind eine Art Wette.
Geht sie auf, zahlt die Bank Geld plus Zinsen zurück. Eine solche Wette kann sein, dass eine Aktie bis zum Stichtag ein Jahr später auf einen bestimmten Kurs steigt. Erreicht sie den Kurs nicht, läuft das Zertifikat ein Jahr weiter. Das Spiel wiederholt sich drei- oder viermal, dann läuft das Zertifikat aus. Ist das Papier mit Kapitalschutz ausgestattet, bekommt der Anleger sein Geld zurück, aber keinen Zins. Gibt es keine Kapitalgarantie, drohen Verluste. Das ist häufig bei Bonus-Expresszertifikaten der Fall. Rechtlich sind Zertifikate Schuldverschreibungen. Wer ein Zertifikat kauft, leiht dessen Herausgeber für eine bestimmte Zeit Geld. Ob er es zurückbekommt, hängt davon ab, ob der Herausgeber zahlungsfähig bleibt. Der Herausgeber des Zertifikats und der Verkäufer müssen nicht identisch sein. Die Zertifikate von Lehman Brothers etwa wurden überwiegend von der Citibank und einigen Sparkassen vermittelt.
Was die Typen und Bezeichnungen der Zertifikate angeht, ist das Durcheinander groß. Einige Zertifikate arten wie Index-, Discount- oder Bonuszertifikate heißen bei jeder Bank gleich und funktionieren auch gleich, doch die meisten Zertifikate lassen sich nicht in Schubladen stecken. Ebenso wenig sagt ihr Name etwas darüber aus, wie sie funktionieren. Die kreativen Köpfe in den Bastelstuben der Banken erfinden immer neue Produkte. Zwar ist es nicht mehr so leicht, Zertifikate zu verkaufen, denn die Anleger sind misstrauisch geworden. Auf Risiken, seien sie scheint’s noch so klein, lassen sie sich nicht mehr ein. Aber Papiere mit Garantie kommen immer noch gut bei der Kundschaft an. Und auf alles andere schreibt man halt Anleihe drauf statt Zertifikat.
Die Kopie ist nie so gut wie das Original
Bundesschatzbriefe zählen seit 40 Jahren zu den liebsten Geldanlagen der Deutschen „Schätzchen“ werden sie zärtlich genannt. Der Zinssatz steigt von Jahr zu Jahr und am Ende der sechs- oder siebenjährigen Laufzeit fließt das Geld zurück. Unter Garantie. Kein Wunder, wollen andere Anbieter von dem guten Ruf dieser Papiere profitieren. Deshalb geben auch Banken Schatzbriefe aus. Vorsicht, Etikettenschwindel! So solide wie ihre großen Vorbilder sind sie nicht.
Die amerikanische Bank Morgan Stanley hat Im Frühjahr 2019 schon den 18. Schatzbrief auf den deutschen Markt gebracht. Er läuft drei Jahre, die Zinsen steigen von 4,3 Prozent pro Jahr im ersten Jahr auf 4,4 im zweiten und 4,5 im dritten Jahr. Anleger bekommen außerdem die Chance auf einen Extrazins von 0,5 Prozent, sollte das Zinsniveau in drei Jahren deutlich höher sein als zu Beginn der Laufzeit. Zum Schluss gibt es das Geld zurück, doch dieses Versprechen ist nur so viel wert wie die Bonität der Bank. Mit anderen Worten: So sicher wie Bundes Schätzchen sind die Kopien von Morgan Stanley beileibe nicht.
Den guten Ruf der Bundesschatzbriefe nutzt aber die Commerzbank aus. Im Frühjahr 2009 brachte sie-als Frischgebackene Staatsbank-zwei Schatzbriefe mit steigendem Zins und fünfjähriger Laufzeit heraus. Aber ob der Staat für diese Bankenschatzbriefe genauso geradestehen wurde wie für seine eigenen Papiere, das ist zumindest fraglich. Außer der Sicherheit haben die Schatzbriefplagiate der Banken noch einen weiteren Nachteil: Die Ruckzahlungsgarantie gilt nur für das Ende der Laufzeit.
Papiere über die Börse Kursverluste fürchten. Für Bundesschätzchen gibt es dagegen zu jeder Zeit den vollen Betrag In dem Prospekt von Morgan Stanley liest sich das so: „Im Gegensatz zu Bundesschatzbriefen können Morgan Stanley Schatzbriefe an der Börse gehandelt und jederzeit ge-oder verkauft werden“, heißt es da und suggeriert, dass Bundesschatzbriefe nur schwer verkäuflich seien. Tatsächlich ist der Verkauf zwar eingeschränkt: Er ist ab dem zweiten Jahr möglich, je 30 Tage können Bundesschatzbriefe im Wert von 5 000 Euro zurückgegeben werden. Doch diese geringe Einschränkung dürfte den meisten privaten Anlegern weniger Probleme bereiten als mögliche Kursverluste. Morgan Stanley bietet die Schatzbriefe schon seit Jahren an. Dass aber ausgerechnet die Commerzbank mit solchen Pseudoschätzchen um Kunden warb, zumal in einer Zeit, als die deutschen Sparer ohnehin verunsichert waren, stieß auf heftige Kritik. Die Banker zeigten sich einsichtig und zogen das Angebot zurück. Die beiden Schatzbriefe werden nicht mehr vertrieben.
Das können Sie dagegen tun: Lassen Sie sich nicht täuschen! Im Grunde sind die Angebote in Ordnung. Dass Banken Anleihen verkaufen, gehört zum täglichen Geschäft. Dass solche Anleihen jährlich steigende Zinsen bieten, ist ebenfalls nichts Ungewöhnliches. Das Perfide an den Schatzbriefen ist der Name. Normalerweise heißen die Papiere Stufenzins- oder Zuwachsanleihen und erwecken nicht den Anschein einer besonderen Sicherheit. Für alle Anleihen, die nach diesem Muster funktionieren, gilt: Die schlechtere Bonität der Banken im Vergleich zu der des deutschen Staates muss sich bezahlt machen: Wenn die Zinsen nicht spürbar über denen der Originale des Bundes liegen, sollten Sie Abstand nehmen.
(Bilderquelle: Pixabay.com – CC0 Public Domain)